Der Gender-Gap im Bundeshaus: Gleichstellung bleibt weiterhin Frauensache
Die historische Frauenwahl 2019 hat die politische Landschaft verändert. Widerspiegelt sich das auch in den Wikipedia-Einträgen über die Politikerinnen und Politiker? Eine neue Analyse des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Zürich zeigt: Zahlreiche Geschlechterstereotype werden neu durchbrochen. Gleichstellung bleibt aber weiterhin Frauensache.
Der aktuelle Anteil der Frauen im Schweizer Parlament ist mit 42 Prozent so hoch wie noch nie. Nun hat der Bund Schweizerischer Frauenorganisation alliance F untersuchen lassen, ob sich nach der historischen Frauenwahl 2019 auch Geschlechterstereotype in der OnlinePräsenz von Politiker/-innen verändert haben.
Laut vergangenen Untersuchungen werden Politikerinnen in der Öffentlichkeit grundsätzlich mehr mit der privaten Sphäre in Verbindung gebracht, also etwa der Fürsorge für die Familie. Männliche Politiker sind hingegen eher in den sogenannten «hard policies» dominant, wie etwa Wirtschaft, Steuern, Immigration, Sicherheit und Verteidigung.
Die jüngste Untersuchung, die eine Gruppe Masterstudierende (Julien Duc, Michelle Huber, Markus Rottmann, Fiona Wiedemeier) am Institut für Politikwissenschaft unter Dr. Theresa Gessler und Prof. Fabrizio Gilardi an der Universität Zürich verfasst hat, zeigt erfreulicherweise ein anderes Bild. In einer Analyse der Inhalte und Metadaten der Wikipedia-Einträge von allen 246 Parlamentsmitglieder waren keine Geschlechterunterschiede in Bezug auf verschiedene Lebensbereiche ersichtlich. Politikerinnen werden also nicht mehr als Politiker über ihr Privatleben definiert.
Hingegen gab es signifikante parteiübergreifende Geschlechterunterschiede im Bereich der Politikfelder, in den sich die Parlamentarierinnen laut Wikipedia engagieren. So bleibt etwa die Gleichstellungspolitik Frauensache, auch in linken Parteien. Die Wikipedia-Einträge männlicher Parlamentarier widmen der Gleichstellungspolitik im Schnitt weniger als ein Prozent all ihrer Bezüge auf Politikfelder. Hingegen waren bei traditionell männlich dominierten Themen wie Wirtschaft, Finanzen oder Militär keine Geschlechterunterschiede bemerkbar. Während Politikerinnen also traditionelle Männerdomänen erobert haben, bleibt hingegen die Gleichstellungspolitik in den Zuschreibungen auf Wikipedia Frauensache.
Allgemein zeigten Politikerinnen eine grössere Präsenz auf Wikipedia als ihre männlichen Kollegen. So gibt es zu 98 % der Parlamentarierinnen einen Wikipedia-Eintrag (94 von 96), aber nur zu 87 % der Parlamentarier (131 von 150). Dies ist unter anderem auf den Edit-aThon «Frauen für Wikipedia» zurückzuführen, der am 7. November 2019 stattgefunden hat. Einen Unterschied in der Länge der Artikel gab es nicht, die Einträge von Politikerinnen werden jedoch nach den Wahlen häufiger editiert und angeklickt als die von Politikern.
Alles in allem sind systematische Geschlechterunterschiede in den Wikipedia-Einträgen der 246 Parlamentsmitglieder eher die Ausnahme. Geschlechterstereotype werden im Kontext dieser Studie aber mehrheitlich durchbrochen, was für die bisherige Literatur über Geschlechterunterschiede in der Politik ein Novum ist. alliance F ist erfreut, dass klassische Stereotype abnehmen und wünscht gleichzeitig, dass die Realisierung der Gleichstellung und entsprechender politischer Massnahmen nicht alleinige Frauensache bleibt.
Kontakt für Medienanfragen:
Julien Duc
Studienkoautor, Universität Zürich
Tel: 079 385 53 70
Michelle Huber
Studienkoautorin, Universität Zürich
Tel: 078 911 37 31
Kathrin Bertschy
Co-Präsidentin alliance F
Tel: 078 667 68 85
Fabrizio Gilardi
Prof., Institut für Politikwissenschaft
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gilardi@ipz.uzh.ch