Vernehmlassung: Kein Sparen auf Kosten der Gleichstellung und der Opferhilfe!
Gerne beteiligen wir uns an der Vernehmlassung zum Entlastungspaket 27, die der Bundesrat am 29. Januar 2025 eröffnete, und bedanken uns für die Möglichkeit, teilzunehmen. alliance F ist der überparteiliche Bund der Schweizer Frauenorganisationen. Wir vertreten die Interessen von rund 100 Mitgliederorganisationen und rund 900 Einzelmitgliedern und setzen uns seit 125 Jahren für die Interessen der Frauen und für die Gleichstellung der Geschlechter ein. Wir erlauben uns, mit diesem Schreiben eine Stellungnahme einzureichen und das Entlastungspaket aus der Gleichstellungsperspektive zu beurteilen: Für alliance F sind die Sparmassnahmen v.a. im Bereich der Hochschulausbildung, der Forschung, der Opferhilfe, beim Sport, IZA, im Arbeitsmarkt und bei der Integration von Geflüchteten problematisch und aus der Gleichstellungsperspektive nicht zielführend.
1 Grundsätzliche Haltung von alliance F
Mehrere Kürzungsvorschläge des Bundesrates betreffen wichtige Programme oder Investitionen, die zur Gleichstellung in der Schweiz beitragen, oder gehen einseitig und stark zu Lasten von Frauen und Mädchen. Konkret sind Mittel gefährdet, die zur Steigerung des noch sehr tiefen Frauenanteils auf Stufe Professur, zur Förderung von Mädchen im Sport oder zur Verbesserung der Opferhilfe vorgesehen waren. Darunter sind Massnahmen, die u.a. die Frauensession 2021 und später auch das Parlament mit der Überweisung von Vorstössen bekräftigt und eingefordert hatte.
Sparmassnahmen bei Bildung und Forschung können den Fachkräftemangel verschärfen, die Ungleichheit der Chancen beim Zugang zu Bildung verstärken und die Förderung von Gleichstellung, Inklusion und Diversität gefährden. Kürzungen bei der IZA haben ganz konkrete Folgen für die Menschen im globalen Süden, wo insbesondere Frauen und Kinder am vulnerabelsten und auf Unterstützung angewiesen sind. Sparen bei der Opferhilfe schwächt die Bekämpfung der (aktuell in der Schweiz erschreckend hohen) häuslichen Gewalt und Femiziden und widerspricht diametral dem Handlungsbedarf. Sparmassnahmen bei der Sportförderung erschweren Frauen und Mädchen sowie vor allen Frauen und Mädchen mit besonderen Bedürfnissen den Zugang zum Sport. Kürzungen bei den Globalpauschalen verlangsamen die Integration von geflüchteten, besonders vulnerablen Frauen in den Arbeitsmarkt.
Alliance F weist darauf hin, dass die Kürzungsvorschläge in den genannten Bereichen Rückschritte einleiten und Errungenschaften zunichte machen, wir lehnen die Sparmassnahmen in den konkret folgenden Bereichen daher ab:
2 Erläuterungen zu ausgewählten Massnahmen
Reduktion der Grundbeiträge an die Hochschulen und der Forschungsmittel für den SNF (1.5.6 ETH-Bereich und 1.5.8 Schweizerischer Nationalfonds SNF)
Die vom Bundesrat vorgeschlagene Kürzung des SNF-Budgets um 10 Prozent schwächt den Forschungsplatz Schweiz, die akademische Nachwuchsförderung und die Wissensproduktion. Wir sind besorgt, dass diese Kürzungen auch Bereiche betreffen, welche bereits jetzt sehr schwach dotierte Gender- und intersektionale Perspektiven berücksichtigen. Kürzungen etwa im Bereich der Gender Studies würden Forschungslücken nicht schliessen und dringend benötigte wissenschaftliche Erkenntnisse über die Auswirkungen von Geschlecht auf verschiedene Lebensbereiche wie Bildung, Familie, Vereinbarkeit oder Gesundheit gefährden. Es braucht nach wie vor mehr wissenschaftliche Grundlagenarbeit, um wirksame Massnahmen zur Behebung systemischer Diskriminierungen und sozialer Ungleichheiten zu ergreifen, sowie zur Stärkung von Partizipation und Demokratie beizutragen.
alliance F beantragt daher, von der vorgeschlagenen Kürzung abzusehen.
Verzicht auf projektgebundene Beiträge an die Hochschulen (2.5)
Wir weisen darauf hin, dass die vorgeschlagen Kürzungen im Widerspruch zur Gleichstellungsstrategie 2030 des Bundes, die eine Erhöhung des Frauenanteils in Lehre und Forschung sowie in Führungspositionen anstrebt. Die Streichung der projektgebundenen Beiträge untergräbt diese Ziele und führt zu einem Rückschritt in den bisherigen Gleichstellungsbemühungen.
Die projektgebundenen Beiträge (PgB) dienen der Finanzierung von innovativen Projekten, die Aufgaben von gesamtschweizerischer hochschulpolitischer Bedeutung erfüllen und jeweils zu gleichen Teilen von Bund und Hochschulen finanziert werden. Indem das Ziel der «Förderung der Chancengleichheit und der tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau» in Art. 59 Abs. 2 HFKG gesetzlich verankert ist, kommt diesen Beiträgen eine entscheidende Bedeutung in der strategischen Förderung von Gleichstellung, Diversität und Inklusion zu. Die Bundesmittel setzen zudem Anreize für die Hochschulen und Trägerkantone, eigene Mittel für Kooperationen zu Themen wie Chancengerechtigkeit einzusetzen.
Für die Gleichstellungsbemühungen, die seit dem Jahr 2000 mit diesen Beiträgen an den Hochschulen erfolgreich gefördert werden, wirkt sich eine Streichung der projektgebunden Beiträge verheerend aus. Mit diesem Instrument konnten wichtige Prozesse an den Hochschulen angestossen werden, wie die Einrichtung von Fachstellen für Gleichstellung und Diversität, die Umsetzung von Aktionsplänen oder die Erhöhung des Frauenanteils auf Ebene Professur von unter 10% auf knapp 30% gemäss aktuelle Statistik des BFS. Der Handlungsbedarf betreffend Leaky Pipeline ist nach wie vor hoch: Frauen sind - mit Ausnahme der Studierenden - in allen Phasen der wissenschaftlichen Laufbahn untervertreten. Der Anteil Frauen auf Ebene Professur liegt in der Schweiz weiterhin unter einem Drittel und unterhalb des Durchschnitts der EU-Mitgliedstaaten (She Figures 2021.)
Die Erhöhung des Frauenanteils in der Forschung und insbesondere in Führungspositionen der Hochschulen sowie die Erhöhung des Frauenanteils in der tertiären Ausbildung im MINT-Bereich auch für die Periode 2025-2028 sind prioritärer ein Schwerpunkt der Schweizerische Hochschulkonferenz, und zentrales Anliegen der Gesetzgeberin (Postulat 22.3878 «Bericht und Strategie zur Steigerung des Frauenanteils in MINT-Berufen». Swissuniversities hat in ihrer strategischen Planung 2025-2028 die Chancengerechtigkeit als einer der Prioritäten gesetzt. Diese wurde in der BFI-Botschaft 2025-2028 vom Bund aufgenommen und in der Vernehmlassung der Botschaft gutgeheissen. Die Streichung der PgB steht darum im Widerspruch zu der aktuellen BFI-Botschaft 2025-2028, die vom Parlament erst 2024 verabschiedet wurde.
Ausgehend von dieser Schwerpunktsetzung hat der Hochschulrat im Mai 2024 sechs Programme gutgeheissen, zu denen in der Folge die Projektausschreibung lanciert wurde. Das Programm «Chancengerechtigkeit – Equité» 2025–2028 (20 Mio.) hat zum Ziel, Chancengerechtigkeit auf allen Ebenen der Hochschulen zu stärken und als integralen Bestandteil der Hochschulentwicklung zu verankern. Das Programm soll zu einer besseren Ausschöpfung des Talent- und Fachkräftepotenzials beitragen und somit den Forschungsstandort sowie die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz stärken. Die Streichung der PgB Beiträge gemäss Entlastungspaket würde die Mittel für die bereits laufenden Projekte um drei Viertel reduzieren, zu den gesetzten Ziele könnte dementsprechend kaum ein Beitrag geleistet werden. Die Hochschulen verfügen angesichts der verschärften Finanzsituation nicht über die Möglichkeiten, die Fortsetzung der laufenden Projekte bis 2028 ausschliesslich mit Eigenmitteln sicherzustellen und für die Zukunft neue Kooperationsprojekte zu lancieren. Damit fehlt das Geld für die Umsetzung von Massnahmen in Bereichen, die alliance F als besonders wichtig erachtet – die Erhöhung des Anteils Professorinnen und von Frauen in Leitungspositionen, der Ausbau der Prävention von sexueller Belästigung und Diskriminierung an den Hochschulen und nicht zuletzt die Qualität in Lehre und Forschung.
alliance F beantragt aus den genannten Gründen auf eine Streichung der projektgebundenen Beiträge zu verzichten.
Verzicht auf die Ausbildungsbeiträge Opferhilfe (2.18)
Der vorgesehene Verzicht auf Ausbildungsbeiträge im Bereich der Opferhilfe ist bedenklich. Für eine effiziente und effektive Opferhilfe braucht es gut ausgebildete Fachpersonen, und im Sinne der Gleichbehandlung der Opfer in der ganzen Schweiz muss der Bund dafür sorgen, dass die Qualität der Opferhilfe in den Kantonen sichergestellt ist. So hat der Bund selber die Ausbildung der Fachpersonen als prioritäre Massnahme im Aktionsplan zur Umsetzung der Istanbul-Konvention definiert. Jede Woche überlebt eine Frau in der Schweiz einen Tötungsversuch. Alle zwei Wochen (im 2025 sogar deutlich mehr) wird eine Frau von ihrem (Ex-)Ehemann, (Ex-)Partner, Bruder oder Sohn getötet. Insgesamt erfasst das BFS jährlich rund 10'000 Delikte häuslicher Gewalt. Vor diesem Hintergrund bei der Opferhilfe zu sparen, lehnt alliance F entschieden ab.
Kürzung der Finanzhilfen für die Sportförderung (1.5.11)
Der Bundesrat schlägt Kürzungen von Förderbeiträgen in den Bereichen Sportinfrastruktur (-10 Mio. CHF) und Sportanlässe (-5 Mio. CHF) sowie bei der Jugendförderung (-2,4 Mio. CHF) vor. Wir weisen darauf hin, dass Sport ein elementarer Bestandteil der Gesundheitsförderung und Prävention ist und das Kürzungsmassnahmen bei der Infrastruktur und der Jugendförderung Mädchen stark treffen: Zahlreiche gewünschte Frauensportteams können nicht entstehen, weil argumentiert wird, dass die Infrastruktur nicht ausreicht, um zusätzliche Teams oder Trainingsangebote für Mädchen und Frauen anzubieten. Die Streichung des Förderbeitrags für die Benützung von Sportanlagen von nationaler Bedeutung würde wohl in erster Linie die Frauen treffen.
alliance F ist sehr besorgt, dass die erst vor Kurzem etwas intensivierte Förderung im Sportbereich von Frauen und Mädchen – die immer noch massiv unter jener der Buben und Männer liegt – bereits wieder in Frage gestellt wird. Wir lehnen darum auch diese Kürzung dezidiert ab.
Verkürzung der Abgeltungspflicht für die Globalpauschalen auf 4 Jahre (2.17)
Vorgeschlagen wird eine Verkürzung der Bezugsdauer von Globalpauschalen auf vier Jahre. Hintergrund dieser Massnahme ist die Absicht, die Integration von anerkannten Flüchtlingen, Staatenlosen, vorläufig Aufgenommenen und Schutzbedürftigen in den Arbeitsmarkt zu beschleunigen.
alliance F befürchtet, dass mit diesen Massnahmen die Erfolge der Integrationsagenda rückgängig gemacht werden. Statt sich nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren, bleiben die geflüchteten Menschen länger in der Sozialhilfe, weil in den Kantonen die Mittel für Integrationsmassnahmen fehlen. alliance F hält es zudem für besonders wichtig, den Zugang zu bezahlbarer Kinderbetreuung für geflüchtete Eltern zu verbessern; profitieren würden hier viele Frauen, welche nur so überhaupt erwerbstätig sein können. Die hohen Kosten sind heute für viele eine zu grosse Hürde, um eine Ausbildung oder Arbeit aufzunehmen.
Kürzung der IZA-Ausgaben (1.5.1)
Das Parlament hat bereits in der vergangenen Wintersession einschneidende Kürzungen im Bereich der Internationalen Zusammenarbeit (IZA) beschlossen. Im Voranschlag 2025 wurden insgesamt 110 Millionen Franken und im Finanzplan für die kommenden Jahre 321 Millionen Franken gestrichen. Diese Kürzungen werden bereits zur Einstellung vieler erfolgreicher Projekte und Programme der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit führen und damit ganz konkrete Auswirkungen auf die Menschen im globalen Süden, insbesondere auf Frauen und Kinder, haben. Das geplante Einfrieren der IZA-Ausgaben würde zu weiteren Kürzungen von 107 Millionen (2027) und 167 Millionen Franken (2028) führen. alliance F lehnt diese Kürzungen ab.
3 Abschliessende Bemerkungen:
Um sicherzustellen, dass zukünftige Haushaltsentscheidungen geschlechtergerecht(er) getroffen werden, würden wir die Einführung eines Gender Budgeting sehr begrüssen. Dieses Instrument ermöglicht es, die Auswirkungen von Budgetentscheidungen auf die Geschlechter zu analysieren und Ungleichheiten frühzeitig zu erkennen und zu adressieren. Auch die EU hat bereits Schritte in diese Richtung unternommen, indem sie Gender Budgeting in ihren Haushaltsprozessen integriert hat.