Vernehmlassung: alliance F setzt sich ein für erweiterten Schutz und Hilfe für Opfer sexualisierter Gewalt
Alliance F begrüsst die Ausweitung des Opferhilfegesetzes und somit auch die vorgeschlagene Teilrevision. Die Teilrevision des Opferhilfegesetzes sieht vor, die Leistungen der Opferhilfe zu stärken. Opfer von Gewalt sollen in der ganzen Schweiz Zugang zu kostenlosen rechtsmedizinischen Leistungen haben, und zwar unabhängig davon, ob ein Strafverfahren eröffnet wird oder nicht. Diese Bestimmung sieht die Einrichtung von geeigneten und leicht zugänglichen Krisenzentren vor, die medizinische und gerichtsmedizinische Untersuchungen, Traumahilfe und Beratung anbieten.
Wir erachten die vorgeschlagenen Massnahmen der Teilrevision als einen ersten wichtigen Schritt, um die Unterstützung von Gewaltopfern, insbesondere Opfer von häuslicher, sexueller und geschlechtsbezogener Gewalt, zu verbessern und das Opferhilfegesetz den aktuellen Herausforderungen anzupassen. Alliance F begrüsst ebenso, dass der Vorentwurf die Bekanntheit und die Zugänglichkeit der Opferhilfe fördern möchte.
Die Schweiz hat sich international für den Schutz vor häuslicher Gewalt und vor Gewalt an Frauen verpflichtet. Mit der 2018 in Kraft getretenen Istanbul-Konvention verfügt die Schweiz über ein Regelwerk zur Verhinderung von und zur Unterstützung bei Gewalt. Der Nationale Aktionsplan der Schweiz zur Umsetzung definierte 2022 somit auch konkrete Massnahmen für die verschiedenen föderalen Ebenen. Die vorgesehenen Anpassungen des Opferhilfegesetzes dienen zum Teil der Umsetzung von Art. 25 der Istanbul-Konvention in Bezug auf Opfer sexueller Gewalt in der Schweiz. Sie gehen jedoch nicht weit genug, um die Verpflichtungen der Istanbul-Konvention zu erfüllen.
Die Übernahme der Kosten für rechtsmedizinische Untersuchungen ist in der geltenden Fassung des OHG nicht erwähnt. Die Pflicht, den Gewaltvorfall der Unfallversicherung melden zu müssen, löst bei manchen Opfern Angst und Scham aus. Hinzu kommt, dass die Gefahr besteht, dass die gewaltausübende Person die Rechnung der Unfall- oder Krankenversicherung entdeckt und es zu weiteren Übergriffen kommt. Wenn ein Opfer weiss, dass es Zugang zu einer kostenfreien rechtsmedizinischen Versorgung hat und es sich nicht um die Finanzierung kümmern muss, wird es eher Hilfe suchen und die Verletzungen und Tatspuren forensisch dokumentieren lassen. Diese Massnahmen können die Hemmschwelle der Opfer, Hilfe zu suchen und in Anspruch zu nehmen, deutlich senken. Damit wird auch der Wiederholung von Gewalttaten vorgebeugt.
Aktuell ist die Situation in den Kantonen ist sehr unterschiedlich. Es gibt Kantone, in welchen die Kosten für rechtsmedizinische Leistungen ganz oder teilweise über die Soforthilfe gedeckt werden. In anderen Kantonen ist dies nicht der Fall. Alliance F begrüsst die Festlegung eines rechtlichen Rahmens und die Vergabe von gewissen nationalen Minimalstandards. Gemäss der Vorlage obliegt es den Kantonen, den Zugang zu solchen Stellen zu jeder Tages- und Nachtzeit sicherzustellen. Für alliance F ist es unerlässlich, dass auch die Kantone ihrer Verantwortung gerecht werden und sicherstellen, dass entsprechende Anlaufstellen tatsächlich rund um die Uhr und kostenlos zur Verfügung stehen. Ebenso ist es erforderlich, die Hilfsangebote für Opfer besser bekannt zu machen.
In einigen Kantonen wird die rechtsmedizinische Dokumentation heute von medizinischem Fachpersonal in den Spitälern, manchmal auch in den normalen Notfallstationen erstellt. Oft sind die medizinischen Fachpersonen für die Erstellung der forensischen Dokumentation nicht ausreichend geschult oder es fehlt ihnen aufgrund von geringen Fallzahlen die Erfahrung, insbesondere in kleineren Spitälern und ambulanten Praxen. Hinzu kommt, dass selbst wenn spezialisierte Fachkräfte vorhanden sind, diese nicht rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Deswegen braucht es zentral gelegene, rund um die Uhr geöffnete Krisenzentren mit spezialisiertem zusammengesetztem Fachpersonal. Anderseits braucht es bessere Schulung der medizinischen Fachpersonen (z.B. Pflichtvorlesung über rechtsmedizinsche Dokumentation und Opferhilfe), denn realistischerweise wird es für einige Opfer aus ländlichen Gebieten schwierig sein, in die zentralen Zentren zu gelangen. Hinzu kommt, dass es nicht nur um die medizinische Erstversorgung und die professionelle geht. Ebenso wichtig für ein Opfer ist es, dass es in einer psychischen Ausnahmesituation unmittelbar nach einer Gewalttat professionell unterstützt, und betreut wird von spezialisierten Fachpersonen, die im Umgang mit Opfern vertraut sind und die sehr spezifischen Bedürfnisse von Opfern kennen.
Nach dem Vorentwurf besteht ein Anspruch auf alle Leistungen der Opferhilfe unabhängig davon bestehen, ob das Opfer Strafanzeige erstattet hat oder nicht. Alliance F erachtet es als richtig, dass die Leistungen der Opferhilfe nicht an eine Strafanzeige gekoppelt werden und dass dieser wichtige Grundsatz explizit im Gesetz verankert wird. Eine höhere Anzeigequote und eine häufigere Verurteilung von Personen, die Gewalt ausgeübt haben, ist wünschenswert. Es ist aber zu respektieren, dass sich nicht jedes Opfer den grossen Belastungen eines Strafverfahrens aussetzen kann oder will.