Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Es ist eine der ältesten ökonomischen Fragen der Menschheit, wie sich die sehr aufwendige Betreuung und Erziehung von Kindern vereinbaren lässt mit der Notwendigkeit von Erwerbsarbeit. Dieses Dilemma wurde in vielen Gesellschaften in der jüngeren Vergangenheit so gelöst, dass sämtliche (unbezahlte) Betreuungs- und Erziehungsarbeit an Frauen ausgelagert und in die private Sphäre verbannt wurde, während Männer die Erwerbsarbeit übernahmen.  

Diese Aufgabenteilung ist in ihrer Unverhandelbarkeit inakzeptabel. Wir wollen eine Gesellschaft, in der Frauen in der öffentlichen Sphäre aktiv und sichtbar sind, ihre Stimme erheben, ihr fachliches und menschliches Potenzial einbringen und die Welt der Zukunft selbstverständlich mitprägen – und in der es gleichzeitig möglich ist, Kinder grosszuziehen. Alles andere können und wollen wir uns nicht mehr länger leisten.   

Damit das allerdings möglich wird, braucht es eine Vereinbarkeits-Infrastruktur, die sich an den vielen Bürger:innen orientiert, die dringend darauf angewiesen sind – unabhängig davon, dass sich manche anders organisieren. So wie wir auch unsere Bahninfrastruktur auf jene ausrichten, die täglich pendeln oder Güter transportieren – unabhängig davon, dass manche sie nur für Sonntagsausflüge nutzen.   

Kurz: Es braucht jetzt Investitionen in eine zeitgemässe Vereinbarkeits-Infrastruktur. Es ist die Forderung, mit der unsere Mitgliedsorganisationen uns am deutlichsten und dringendsten beauftragen.   

Unterstütze unser politisches Engagement für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf! 


Wir fordern eine Elternzeit

Die heutige Regelung mit einem 14-wöchigen Mutterschaftsurlaub und einem nur 2-wöchigen Vaterschaftsurlaub stellt nicht nur viele Familien vor eine kaum lösbare Herausforderung, sie zementiert auch die traditionelle Aufgabenteilung zwischen Müttern und Vätern weit über die Babyphase hinaus. Sie belässt die gesamte Verantwortung bei einem Elternteil – und schliesst den anderen gleichzeitig in einer für viele Eltern wie Kinder empfindlichen und teilweise gesundheitlich belastenden Zeit aus. Oft mit langfristigen Folgen.  

Gleichzeitig ist die einseitige Regelung eine der Hauptursachen für die anhaltende Benachteiligung der Frauen im Erwerbsleben: Weil jede Frau zur Gruppe gehört, die potenziell schwanger werden und ausfallen könnte, erfolgt schon bei jungen Frauen eine – oft unbewusste – Benachteiligung, die in geringeren Löhnen und beruflichen Aussichten für Frauen resultiert. Damit das nicht mehr geschieht, muss Elternschaft als Sache aller Geschlechter gesehen werden – und darum braucht es eine für beide Elternteile gleich lange («paritätische») Elternzeit. Sie muss von der Länge her so ausgestaltet sein, dass sie für Unternehmen planbar und tragbar ist; gleichzeitig aber die bisherige Situation der Mütter und Väter verbessert.   

2023/24 hat alliance F eine Studie in Auftrag gegeben, die belegt, dass sich eine paritätische Elternzeit auch volkswirtschaftlich lohnt: weil sie dafür sorgt, dass Mütter besser von ihren Partner:innen freigespielt werden, und sich so hochgerechnet über 10 Jahre 25’000 zusätzliche (vollzeitäquivalente) Berufsfrauen im Arbeitsmarkt engagieren. Je nach Szenario wäre die Elternzeit entsprechend nach 15 bis 25 Jahren kostenneutral – sie bringt dem Staat ab dann also mehr, als sie ihn kostet.   

Heutiger Stand

  • Die Forderung nach egalitärer Elternzeit war Teil des Gleichstellungslegislaturprogramms 2019–2023, konnte aber noch nicht realisiert werden.  

  • 2020 wurde nach einer Volksabstimmung mit 60,3 Prozent Ja-Stimmen ein 2-wöchiger Vaterschaftsurlaub eingeführt.  

  • Weiter gehende Vorstösse und kantonale Initiativen in den Kantonen Zürich und Bern wurden in Volksabstimmungen abgelehnt.  

  • Im Kanton Genf wurde eine Elternzeit von zusammen 24 Wochen (14 plus 0–2 Wochen / 2 plus 6–8 Wochen) in einer Volksabstimmung angenommen.  

Legislaturziel

alliance F lanciert gemeinsam mit Partner:innen, überparteilich und breit abgestützt, eine Elternzeit-Initiative, die paritätisch ist, über die bisherige Wochenzahl hinausgeht und den Lohnersatz bei tieferen Einkommen in der Höhe des bisherigen Einkommens (100 Prozent) sichert.  


Verbesserung der familienergänzenden Kinderbetreuung

Die familienergänzende Kinderbetreuung in Kindertagesstätten ist heute für viele Eltern in der Schweiz kaum bezahlbar. Sie kostet Familien im Schnitt 35 Prozent eines Einkommens, wie Zahlen der OECD zeigen. In kaum einem anderen Land der Welt müssen die Eltern einen so hohen Anteil ihres Verdienstes für die familienergänzende Kinderbetreuung aufbringen wie in der Schweiz. Damit lohnt sich Erwerbsarbeit für Familien der Mittelschicht und insbesondere für Frauen kaum.   

Sie bleiben wirtschaftlich abhängig(er) von ihren Partnern, sind im Alter und bei einer allfälligen Trennung oder Scheidung finanziell schlechtergestellt, haben weniger berufliche Entfaltungsmöglichkeiten und sind aufgrund ihrer Abhängigkeit einem höheren Risiko häuslicher Gewalt ausgesetzt. Gleichzeitig verhindern die hohen Kosten für Eltern auch, dass weiter in die Qualität von Kitas investiert wird, weil allfällige Tariferhöhungen für Eltern kaum bezahlbar wären.   

Investitionen in eine qualitativ hochwertige familienergänzende Kinderbetreuung zahlen sich volkswirtschaftlich aus (BAK-Studie «Frühe Kindheit») – dank frühkindlicher Bildung, Förderung und Integration sowie in Form von zusätzlicher Erwerbstätigkeit und Karriereschritten von Frauen.  

Heutiger Stand

  • Im Rahmen der ordentlichen Legislaturplanung 2019–2023 des Bundesrats konnten wir die Massnahme Nr. 43 – «Verabschiedung der Botschaft zur Erleichterung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unter Einbezug der Kantone» – mit einer Mehrheit beider Ratskammern ergänzen.   

  • Die parlamentarische Initiative 21.403 «Überführung der Anstossfinanzierung in eine zeitgemässe Lösung» («Kita-Gesetz») ist zurzeit in den Räten. Sie sieht vor, dass der Bund 20 Prozent der Elternbeiträge übernimmt und den Kantonen Anreize setzt, ebenfalls in die Qualität und Bezahlbarkeit zu investieren.  

  • alliance F engagiert sich in der zuständigen Kommission an offiziellen Hearings und zeigt in ökonomischen Analysen, regelmässigen persönlichen Gesprächen und Schreiben die Dringlichkeit und Effektivität dieser Investition auf.   

  • Dabei arbeiten wir mit anderen Organisationen zusammen; unter anderem erstellte alliance F eine Musterstellungnahme, die von zahlreichen Mitgliedsorganisationen und weiteren Partner:innen eingereicht wurde.  

  • Um den öffentlichen Diskurs aufrechtzuerhalten und den politischen Entscheidungsgremien den Bedarf der Bürger:innen aufzuzeigen, hat unser Team eine Petition lanciert und die Kita-Rechnungen von Tausenden Unterstützer:innen gesammelt. Eine Auswahl davon haben wir den Ständerät:innen der zuständigen Kommission (WBK-S) überbracht.  

Legislaturziele

  • alliance F setzt sich weiter für das «Kita-Gesetz» ein.  

  • alliance F etabliert Kitas als Teil einer notwendigen öffentlichen Infrastruktur.  

  • alliance F schlägt einen staatlichen Fonds FAKI (Finanzierung und Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur) analog zu anderen Politikfeldern vor. Dieser wird durch Bund, Kantone und Gemeinden geäufnet und garantiert die mittel- und langfristige Finanzierung dieser essenziellen Infrastruktur.   

  • alliance F erwägt im Fall eines aus Sicht von alliance F ungenügenden «Kita-Gesetzes» eine Unterstützung der Kita-Initiative oder weiterer politischer Vorstösse.   


Ein faires Steuermodell (Individualbesteuerung)

Das heutige Steuersystem basiert auf dem Familienmodell der Nachkriegszeit: Die Frau gibt nach der Heirat die Erwerbstätigkeit für den Rest ihres Lebens auf – und wird entsprechend auf der Steuerrechnung ihres Ehemannes veranlagt. Das schafft falsche Anreize, die Erwerbsarbeit unattraktiver machen: Bei einer gemeinsamen Veranlagung kombiniert mit einem progressiven Steuertarif wird das Einkommen der Zweitverdienenden zu einem deutlich höheren Steuersatz besteuert. In fast 90 Prozent der Haushalte betrifft dies das Einkommen der Frau. Der liberale Thinktank Avenir Suisse bezeichnet das aktuelle Steuersystem denn auch als frauenfeindliche Familienbesteuerung. Die gemeinsame Veranlagung drängt Mütter als Zweitverdienende dazu, ihre Erwerbstätigkeit zu reduzieren – mit negativen Folgen für ihre eigene finanzielle Unabhängigkeit und für die Volkswirtschaft.   

Die Individualbesteuerung schafft als alternatives Berechnungsmodell für Paare mit Kindern nicht nur die Heirats-, sondern jegliche Zivilstandsstrafe ab. Mit einer Modifizierung über den Steuertarif oder über Abzüge kann zudem ermöglicht werden, dass Familien mit Kindern stärker entlastet werden. Das macht Erwerbstätigkeit attraktiver: Weil die Progressionsstrafe für Zweitverdienende wegfällt, sorgt eine modifizierte Individualbesteuerung bei Einführung bei Bund und Kantonen laut Berechnungen des ökonomischen Beratungsbüros Ecoplan für zusätzliche bis zu 60’000 Beschäftigte (Vollzeitäquivalente). Das entspricht einer Zunahme der Erwerbstätigen von bis zu 1,5 Prozent und würde die anfallenden Steuerausfälle mildern, wenn nicht gar decken.   

Laut Ecoplan wären 80 Prozent der Personen, die eine bezahlte Tätigkeit aufstocken oder wieder aufnehmen würden, Frauen im Alter von 25 bis 55 Jahren, die überwiegend Teilzeit arbeiten, zu einem Drittel einen Hochschulabschluss und zu 58 Prozent einen Abschluss auf Sekundarstufe II besitzen. Dies sind also gut ausgebildete Fachkräfte, die die Schweiz auf dem Arbeitsmarkt dringend benötigt.  

Heutiger Stand

  • Die Individualbesteuerung musste dem Bundesrat gleich vierfach in Auftrag gegeben werden: mit einer Rückweisung des Bundesratsvorschlags 18.034 zur «ausgewogenen Paar- und Familienbesteuerung», der Verankerung der Massnahme des Legislaturprogramms 2019–2023 von alliance F in der ordentlichen Legislaturplanung 2019–2023 (19.078; neu: Nr. 13 – «Verabschiedung der Botschaft zur Einführung der Individualbesteuerung»), mit der Überweisung der Motion 19.3630 von Christa Markwalder und mit einer überparteilichen Volksinitiative unter der Leitung der FDP-Frauen.  

  • Der Bundesrat hat daraufhin im Dezember 2022 einen Entwurf präsentiert und eine Vernehmlassung eröffnet.  

  • alliance F hat eine Musterstellungnahme erarbeitet, die breit übernommen wurde. Unsere Forderung, jenes Modell zu wählen und zu verbessern, bei dem die Erwerbsanreize der Frauen im Fokus stehen und darauf verzichtet wird, die Nicht-Erwerbstätigkeit mit einem Steuerabzug zu belohnen, wurde vom Bundesrat in seinen neu präsentierten Eckwerten übernommen.  

  • Die Botschaft zum entsprechenden Bundesgesetz über die Individualbesteuerung wurde im Februar 2024 verabschiedet.  

Legislaturziele

  • alliance F unterstützt die überparteiliche Volksinitiative zur Einführung der Individualbesteuerung respektive das bereits ausgearbeitete Bundesgesetz über die Individualbesteuerung (indirekter Gegenvorschlag).  

  • alliance F engagiert sich in beiden Kommissionen und Ratskammern, um eine Mehrheit von der Individualbesteuerung zu überzeugen und die Vorlage so auszugestalten, dass die Erwerbsanreize – und damit die Gleichstellungseffekte für die Frauen – im Fokus stehen. Wir bekämpfen ein allfälliges Referendum.  

  • alliance F gibt ein Gutachten zur Überprüfung der Verfassungsmässigkeit (Art. 8 Absatz 3 Gleichstellung der Geschlechter) der gemeinsamen Veranlagung in Auftrag.  


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